(* weist auf die Fotos hin; (c) DEG)
Eine Gruppe von ca. 25 Personen, überwiegend aus den Reihen der Deutsch-Estnischen Gesellschaft, machte sich zwischen dem 17. und dem 22. Juni auf den Weg nach Tartu. Die Einen hatten ein Wohnmobil dabei und fuhren als Erste mit der Fähre von Travemünde nach Liepaja/Lettland. Andere nutzten ebenfalls die Fähre *, fuhren dann aber mit dem öffentlichen Bus weiter nach Riga. Der Großteil der Gruppe flog von Hamburg nach Riga *, und von dort aus brachte ein gemieteter Bus die Gesellschaft einschließlich der vier Fähre-/Busfahrer spät abends zum Hotel Dorpat in Tartu. Ein Nachzügler flog sogar über Helsinki gleich nach Tartu. So führten also viele verschiedene Wege zu unterschiedlichen Zeiten am Ende aber doch alle zum selben Ziel: zur Europäischen Kulturhauptstadt Tartu.
Am Sonnabend, 22. Juni,
waren wir im Rathaus Tartu mit OB Urmas Klaas verabredet, der uns wieder in perfektem Deutsch begrüßte und sehr interessant und eindrücklich die Situation der Stadt Tartu wie des Landes Estland schilderte * einschl. der möglichen Bedrohung durch Russland, die dem Motto des Kulturjahres „Die Kunst zu überleben“ eine aktuelle Dimension verleiht.
Mittags dann die Führung durch das Nationalmuseum. Unsere schon von anderen Besuchen bekannte und bewährte Führerin Lilli Kängsepp legte diesmal ihren Schwerpunkt auf das Untergeschoss des Museums, in dem es um die Urahnen der Esten und ihrer Verwandten, nämlich die finnisch-ugrischen Völker, ging.
Der erste Höhepunkt war dann am Nachmittag und Abend das große Sängerfest mit vorangestelltem Umzug der teilnehmenden Gruppen, Chöre wie Tanzgruppen.
In der Sängerfest-Arena füllte sich die Bühne mit am Ende fast 10.000 singenden Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Dazu kamen ein XXL-Blasorchester, die Sinfoniker des Tartuer Theaters sowie ein großes Tanzensemble, das überwiegend vom Hugo-Treffner-Gymnasium gestellt war. Etwa 15.000 Zuschauer verfolgten die großartige vierstündige Vorführung. Auch OB Klaas sprach vor dem Publikum in der Arena und vor den Bildschirmen, denn das Estnische Fernsehen übertrug die Veranstaltung live. (Link zur Galerie des Estnischen Rundfunks)
Sonntag, 23. Juni
Das verlängerte Wochenende – der 23. und der 24. Juni sind in Estland Feiertage – bescherte uns einen Festival-Marathon. Am Sonntag Nachmittag bis in den Abend versammelte sich viel Volk auf dem Gelände des Nationalmuseums, um Gegrilltes und Bier oder Wein zu genießen und zu sehen, wie das Johannisfeuer entzündet würde. *
Wir deutschen Gäste verließen aber die Feierlichkeiten unverhältnismäßig früh, musste doch noch eine Lokalität gefunden werden, wo man das EM-Spiel Deutschland-Schweiz sehen konnte…*
Montag, 24. Juni
Am Johannistag selbst gab es auf dem Land etwa 35 km südwestlich von Tartu ein sehr schönes und interessantes Volkskunst-Festival „Anda ja kanda“ mit Musik und Tanz * und informativen Ständen und Workshops zu alten Handwerken oder zum Volksglauben. Viele Damen schmückten sich mit selbst geflochtenen Blumenkränzen.*
Am Dienstag, 25. Juni
führte uns ein Ganztages-Ausflug in den äußersten Südosten des Landes, nach Setomaa. Dort wurden wir über das Leben der Seto früher informiert (Värska Bauernmuseum *) und bekamen auch noch den originalen zweistimmigen Gesang der Seto-Frauen („Leelo“) vorgeführt *, der sich wesentlich von der sonstigen estnischen Folklore unterscheidet, deren musikalische Wurzeln eher in der deutschen Tradition des 19. Jh. zu finden sind. Interessant ist auch, dass dieser Leelo-Gesang zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und dass sich vor 20 Jahren eine Gruppe junger Musiker aus Setomaa gegründet hat, die seitdem unter dem Namen „Zetod“ mit Folkrock auf der Basis des Seto-Gesangs sehr erfolgreich ist. Wir hatten am Montag bei „Anda ja kanda“ Gelegenheit, diese Gruppe zu hören. *
Ansonsten erfuhren wir Allgemeines über die Seto-Kultur, die sich aus russisch-estnischer Identität speist mit estnischer (Dialekt-)Sprache, russischer Volkskunst und russisch-orthodoxer Religion . Die weiteren Orte, wo diese Informationen anschaulich wurden, waren das Café von Inara. Dort stellten wir selbst Pelmeni her, kleine gefüllte Teigtaschen. * Außerdem bekamen wir das älteste Holzgebäude Estlands zu sehen, eine kleine orthodoxe Kapelle.
Sehr aufschlussreich auch der Besuch des Saatse-Museums direkt an der Grenze zu Russland. Um zu diesem Museum zu gelangen, fuhren wir mit unserem Bus sogar ein paar Kilometer über russisches Gebiet, was aber unproblematisch war. Das Museum feierte just an diesem Tag sein 50jähriges Bestehen. So wurden wir gleich zu Wein und Torte eingeladen. Aber da wir gerade reichlich Pelmeni gegessen hatten, reizte uns die Ausstellung und der Spaziergang zur Grenze doch mehr. * Die Ausstellung, die übrigens von unserer kompetenten Reiseführerin kuratiert war, hatte neben der Seto-Kultur auch die Grenzproblematik generell zum Thema.
Weitere Stationen waren dann die Sandsteinhöhle von Piusa * und die mittelalterliche Bischofsburg Vastseliina, auf der sich eine Storchenfamilie eingenistet hatte. * Am See von Võru gab es dann noch einen kühlen Drink und für Einige ein erfrischendes Bad.
Auch der Mittwoch, 26. Juni,
war für einen Tagesausflug reserviert. Er führte uns zunächst zu einem Gutshaus Kadrina mõis nahe dem Peipussee *, das trotz Renovierung bewusst noch viele Möbelstücke aus den 20er Jahren und aus der Sowjetzeit aufweist. Dort begannen wir den Tag gleich mit einer Kaffeepause, bevor es weiterging zum Peipsimaa-Museum. In dem kleinen ehemaligen Schulhaus erhielten wir einen anschaulichen Einblick in die Welt der „Altgläubigen“, der hier ansässigen Bevölkerung, deren Vorfahren im 17. Jhdt. aus religiösen Gründen Russland verlassen und sich hier angesiedelt hatten. * Es waren Ikonen sowie sehr schön gestaltete Alltagsgegenstände ausgestellt *.
Im nahen Mustvee wurden wir im Kulturzentrum empfangen, deren Leiterin uns auf einer kurzen Busrundfahrt Kirchen verschiedener Konfessionen zeigte und uns am Ende in ihren eigenen preisgekrönten Garten führte, der perfekt, fast zu perfekt gepflegt ist und zu einer Reihe öffentlich zugänglicher Gärten im ganzen Land gehört. Die nächste Station war Avinurme, in der Region des nördlichen Peipussees. Wir besuchten einen ehemaligen Holzspeicher, der als Restaurant und Kunsthandwerkerladen umgebaut ist.
Sodann ging es weiter zu einer kurzen Fahrt mit einem historischen Zug ein paar hundert Meter in den Wald hinein und wieder zurück bei sengender Hitze. * Dabei erfuhren wir interessante Details über die Schmalspurbahn, die vor hundert Jahren der Region Wohlstand gebracht hatte und jetzt als Museumsbahn wieder zum Leben erweckt worden ist.
Nach einer weiteren Pause im Peipsi-Teehaus, wo es nicht nur noch mehr schöne kunsthandwerkliche Gegenstände zu kaufen, sondern auch die Pensionszimmer mit wunderbaren Tapeten und historischen Lichtschaltern * zu sehen gab, wurde das umfangreiche, bunte Tagesprogramm im Garten eines ehemaligen Tartuer Schülers unserer Freundin Mall beschlossen. Hier konnten wir uns über Beerenanbau und Weinherstellung informieren und selbst vom Wein aus Beeren und sogar aus Birkenrinde probieren. Der Ort Odivere ist übrigens unweit des Kalevipoeg-Museums, das wir 2022 besucht hatten.
Donnerstag, 27. Juni
Am letzten Tag unseres Aufenthaltes in Tartu hatten wir noch Gelegenheit, das Deutsche Kulturinstitut zu besuchen. * Obwohl der Bedarf zum Erlernen der deutschen Sprachen seit 1990 zurückgegangen ist, gibt es immer noch viele Bildungs- und Kulturangebote. Allerdings musste das Personal erheblich heruntergeschraubt werden, so dass die Leiterin des Instituts Vaike Hint alles von Programm-Koordination bis zur Hausmeister-Tätigkeit selbst machen muss.
Bei unseren Ausflügen hatte uns auch Kathrin Groth begleitet, eine junge Frau, die hier im Kulturinstitut wohnt und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa Potsdam für ein Jahr als Stipendiatin und Stadtschreiberin Tartus entsendet wurde. Sie schreibt regelmäßig sehr interessant und persönlich über ihre Erlebnisse in der Kulturhauptstadt in einem Land, das ihr vorher vollkommen unbekannt gewesen war.
https://www.stadtschreiberin-dorpat.de
Der letzte Nachmittag und Abend brachte uns die Begegnung mit unserem Partnerverein, dem Tartuer Lüneburg-Verein. Zunächst fuhren wir eine Stunde mit einem Ausflugsschiff auf dem Emajõgi und wurden dabei mit selbst gemachten Salaten, Kuchen und weiteren Leckereien versorgt. * Abends trafen wir unsere Tartuer FreundInnen im Pulverkeller wieder und feierten gemeinsam unseren Abschied von ihnen und ihrer Stadt.
Am Freitag, 28. Juli
ging es dann schon sehr früh los. Der Bus brachte die Fährfahrer zum Busbahnhof in Riga und die Flieger zum Flughafen.
So kamen Letztere schon am Nachmittag wieder in Lüneburg an, während die Fährfahrer das EM-Spiel der Deutschen gegen Dänemark am Samstag nur noch in der Schlussphase miterleben konnten.
Eine Gruppe von knapp zehn Teilnehmern gönnte sich auf eigene Faust nach der Woche Tartu noch ein paar weitere schöne Tage in Estland.